Vorschlag zur Generierung von Bedeutung

Wenn ich mich in Situationen befinde, deren Zustandekommen mehr externen Bedingungen als meiner Selbstbestimmung zugeschrieben werden können, merke ich oft, dass Menschen über andere Menschen reden, das heißt, dass mangelhafte Einstellungen oder Verhaltensweisen anderer Menschen thematisiert werden. Solche Arten von Gesprächen können sogar stundenlang fortgesetzt werden, ohne dass der Runde dabei ansatzweise langweilig wird. Vielleicht ist der eigentliche Grund für diese Gespräche der Versuch, sich selbst über die Fehler anderer Menschen zu profilieren. Oder vielleicht liegt der eigentliche Grund darin, dass man mit sich selbst nicht viel zu tun haben will. Man verdrängt sich selbst durch die Thematisierung anderer. Die Sinnlosigkeit des letzteren wurde in einem Buch gemäß meiner Interpretation folgendermaßen beschrieben: Wenn die anderen, die man selbst thematisiert, sich auch für andere Menschen interessieren, wird man spätestens in den Gesprächsinhalten der anderen auf sich selbst stoßen.

 

Nun stellt sich jedoch die Frage, worin genau der Unterschied zwischen Gesellschaftskritik und Gesprächen der oben dargelegten Art besteht. Ich denke, dass sich Gesellschaftskritik zwar auch mit den Fehlern und Schwächen von Menschen beschäftigt. Allerdings werden dabei abstrakte Begriffe bestimmt und persönliche Leidenschaften oder Verhältnisse werden möglichst ausgeschlossen. Wäre es also diesem Fall nicht sinnvoll, Gespräche, die sich um andere drehen, durch Abstraktion auf das Niveau der Gesellschaftskritik zu heben, anstatt diese als eine schlechte Sache zu betrachten. Ich denke, dass dies ein richtiger Schritt sein könnte Wenn jedoch hinter der Gesellschaftskritik kein Idealismus steckt, ist sie auch nicht allzu sinnvoll. Liegt kein Idealismus vor,  wird die Merkwürdigkeit des Konzepts der Gesellschaftskritik anhand folgender Frage erkennbar: Wenn sich die gesellschaftlichen Umstände, die kritisiert werden, wie gewünscht verbessern, worin besteht dann die Bedeutung des eigenen Lebens? Was wird der Inhalt des eigenen Lebens sein, sobald es keine gesellschaftlichen oder kulturellen Aspekte gibt, die man kritisieren kann? Bei dieser Herangehensweise kommt man also zum Schluss, dass Gesellschaftskritik eigentlich nur dann sinnvoll ist, wenn dabei ein Idealismus herausgearbeitet wird. Anders gesagt bedeutet dies, dass ohne ein tieferes Verständnis für Philosophie und Kunst das Konzept der Gesellschaftskritik unvollständig ist.

 

Die Absurdität, die ich oben beschrieben habe, gilt mit analoger Begründung auch für politische Debatten. Es ist richtig und notwendig, dass jeder gewissenhafte Mensch der Missachtung von Menschenwürde, von Rechten anderer Menschen und von Gesetzen kritisch begegnet, seine Kritik auch laut genug ausdrückt und deutlich Stellung dagegen bezieht. Allerdings kommt die Unvollständigkeit dieses Konzepts, wenn es nicht von einem gewissen Idealismus begleitet wird, dann zum Vorschein, wenn man sich die folgenden Fragen stellt: Welchen Sinn hat das eigene Leben, wenn es keine schlechten beziehungsweise bösen Regierungen gibt? Mit welchen Inhalten wird man dann das eigene Leben füllen? Wie oben kommt auch hier die Unumgänglichkeit der Auseinandersetzung mit Philosophie und Kunst zum Vorschein, will man seine politische Kritik in einen vollständigen Kontext einbetten.

 

Nun gut, dann probieren uns also einer Näherung zur Philosophie und Kunst zu nähern, von denen ich annehme, dass sie sinnstiftend sind. Die ersten Werke, die mir in den Sinn kommen, sind Zeichnungen der Natur. Oft ist es so, dass durch solche Zeichnungen Ideen von Ewigkeit oder absoluter Schönheit gewonnen werden können. Vor allem die Werke von Caspar David Friedrich sind anschauliche Beispiele solcher Kunst. Allerdings begegnet mir bei etwas genauerem Durchdenken dieser Thesen die folgende Frage: Wie kann ein Mensch den Wert solcher Werke verstehen und deren Beitrag zum Erwerb einer tieferen Anschauung feststellen, ohne die bedingten Schönheiten der Welt, Unvollständigkeiten, Fehler und Endlichkeiten der Dinge in der Welt jemals bemerkt zu haben? Ist das Erkennen von Bedingungen sowie von raum-zeitlichen Endlichkeiten nicht eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine Idee von Unendlichkeit und Absolutheit zu bekommen?

 

Vielleicht öffnen sich die Türen zur Kunst und Philosophie erst dann, wenn man beginnt, sich selbst, die Beziehungen, in denen man sich befindet, und das, was man tut, seltsam zu finden. Es scheint nicht möglich, dass sich die Türen zu einem Idealismus öffnen, ohne das Gefühl der Entfremdung zu erleben.

 

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